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Befreiung zum Leben
Rudolf Lütticken

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Rudolf Luetticken - Angst vor der Angst

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Wer Gott liebt, hat keine Religion außer Gott - Rumi


An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen - Mt 7,16


Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr!, und tut nicht, was ich euch sage? - Lk 6,46











Solange ich vor der Angst fliehe, finde ich nicht den Weg ins Vertrauen

Solange ich angesichts des Unabänderlichen keine andere Alternative sehe als „"Biegen oder Brechen"“, unterliege ich dem Zwang. Wenn ich mich in Einsicht dem Unabänderlichen beuge, bin ich selbstbestimmt und frei.

Religiöse Überlieferung gründet auf Behauptung, authentische Spiritualität auf der Gabe der Unterscheidung.

An Jesus glauben heißt: alles Leben im Licht seiner Botschaft sehen.

Die Botschaft Jesu liegt nicht in der Bedeutung seiner Worte, sondern in ihrer Kraft.

Wer an Jesus glaubt, hält sich an ihm nicht fest: er weiß sich gehalten.

Die christliche Form der Erleuchtung ist die Gewissheit der Auferstehung

Oktober 2015


Die Angst vor der Angst


"Wir haben keine Angst gehabt"

"Wir haben keine Angst gehabt" - das war bis in mein 58. Lebensjahr meine feststehende Antwort auf die Frage, wie wir Kinder die Bombennächte im Krieg erlebt hätten. Kleve am Niederrhein lag auf der Route der englischen Bombengeschwader, die vor allem auf ihrem Rückweg, vor Verlassen des Reichsgebietes, die Last abwarfen, die sie bis dahin nicht losgeworden waren. Bombenalarm gab es ab 1941 immer häufiger, schliesslich mehrmals des tags und des nachts.

Jedesmal mussten drei bis - zuletzt - fünf Kinder im Eiltempo zusammengerufen oder aus den Betten gerissen werden, um noch rechtzeitig hinter ihnen die Stahltüre des Bombenkellers zu verschliessen. Dann lag oder hockte man zusammengedrängt auf den Matrazen und verfolgte gespannt, wie das tiefe Dröhnen immer stärker anschwoll, bis Bunkerboden und -wände bebten, - und atmete auf, wenn es wieder abnahm.

"Wir haben keine Angst gehabt" -, das war keine Tatsachenfeststellung; es war eine Huldigung an die Mutter, die den eigenen, kalten Angstschweiss vor ihren Kindern verbarg, um sie vor jedem Gefühl der Angst zu bewahren. Nur zu gern barg ich mich in der angstlosen Sicherheit, die dieses Glaubensbekenntnis mir anbot und beschwor.

"Wir haben keine Angst gehabt" wurde im Laufe der Jahre zu einem Mythos, der der Familie gegenüber allen inneren und äusseren Gefährdungen Identität, Zusammenhalt und Stabilität verlieh. In ihm nahm die Mutter die zentrale, alles beherrschende Rolle ein, er umhüllte sie mit der Aura einer göttlichen Schutzmacht, einer mütterlichen Schutzgöttin.

Erst im Herbst 1996, im Rahmen einer Maltherapie, brachte es ein kleines, in Acrylfarben gemaltes Bild an den Tag: mitten in der Flammenhölle des engen, von der Bombe durchschlagenen Bunkers die Mutter, vor sich ihr krebsrot glühendes, nacktes Kind umklammernd. Beide: Mund und Augen weit aufgesperrt, nichts als panische Angst.

Sicher kein Bild der Wirklichkeit - wir haben alle die Bomben überlebt - aber wohl unzweideutiges Bild der damals in Mutter und Kind explodierenden Angst. Ein Bild jedoch , das seinerseits noch einmal solche Angst erzeugt, dass nichts davon ins gegenwärtige Bewusstsein dringen darf. Dies zu gewährleisten, war der Sinn jenes Mythos von der ungetrübten Geborgenheit aller Kinder bei der Mutter; 50 Jahre lang umschloss er den Glutkern des Bombentraumas so hermetisch, wie der Betonmantel den durchgeschmolzenen Atommeiler von Tchernobyl.

Wie kommt es dazu, dass ich zwar die Situation im Bunker erinnere, - wenn auch nur blass und "objektiv" -, gar nicht aber diese furchtbare Angst, mit der ich doch ganz offenkundig darauf reagiert habe?

Die Angst ist meine Weise, mit der furchterregenden Wirklichkeit in Kontakt zu sein.

Nicht sie trennt mich von der Wirklichkeit, sondern die Angst vor dieser Angst.

Die damaligen Bomben gehören der Vergangenheit an, - sie bedrohen mich nicht mehr. Die Angst jedoch, die die Bomben damals auslösten, ist unlöschbar in meiner Seele abgespeichert. Würde ich ihr erlauben, auf dem Bildschirm meines Bewusstseins in Erscheinung zu treten, so käme ich dadurch nicht nur in Kontakt mit dieser Angst; sondern in ihr zugleich mit der Wirklichkeit der Bomben selbst - und zwar so, wie ich sie damals erlebt habe, als furchterregende Gegenwart. So habe ich heute nicht Angst vor den damaligen Bomben, wohl aber vor der Angst, die sie damals auslösten, denn diese Angst ist zwar verdrängt, sodass ich sie nicht spüre; würde ich sie jedoch in mein Bewusstsein dringen lassen, so liesse sie mir die Bomben heute genauso furchterregend gegenwärtig werden, wie ich sie damals erlebt habe.

Nicht die Angst vor den Bomben spaltet mich von der Wirklichkeit der Bomben ab. Diese Angst ist ja meine Weise, auf die ungeschützte Auslieferung an die Wirklichkeit der Bomben zu reagieren. Und sie kennt keine Vergangenheit. Ich bin daher durch sie mit der furchterregenden Wirklichkeit, auf die sie reagiert, in unmittelbarem Kontakt. Aber genau darum bleibt es nicht bei dieser primären Angst: Sie macht mir selbst noch einmal Angst: die Angst vor der Angst.

Es ist diese Angst vor der Angst, die mich von der Wirklichkeit abspaltet: Von beiden Wirklichkeiten - von der Wirklichkeit der Bomben ebenso wie von der seelischen Wirklichkeit der Angst, mit der ich auf jene reagiert habe. Wieso? Zunächst trage ich doch diese Angst vor der Angst nicht anders in mir als die primäre Angst und es mag ja durchaus sein, dass mir auch diese Angst vor der Angst noch einmal Angst macht.

Damit ich jedoch aus diesem Teufelskreis Angst erzeugender Angst herauskomme, mache ich irgendwann einen kreativen Schritt: Um nicht durch erneute Angst vor der Angst doch indirekt mit der Wirklichkeit in Kontakt zu bleiben, die die primäre Angst erzeugt hat, erschaffe ich eine Art second Life, eine Pseudo-Wirklichkeit, wie etwa den Mythos von der mütterlichen Schutzgöttin, um darin jene Schein-Sicherheit zu finden, wie ich sie aus unserem Familienmythos kannte.

Aus der Schein-Wirklichkeit zurück zur Wirklichkeit

Diese Pseudo-Wirklichkeit wirkt wie ein anästhetisierendes Medikament; sie macht mir also keine Angst - sie ist vielmehr ihrerseits Produkt der Angst. Ich fliehe nicht vor ihr und von ihr fort, sondern zu ihr hin. In der Schein-Sicherheit und -Geborgenheit, die sie mir bietet, will ich bleiben.

So sehr die Angst vor der Angst sich in und hinter der Schein-Sicherheit, die sie hervorbringt, auch verbirgt, - sie kommt zum Vorschein da, wo die von ihr erzeugte Pseudo-Wirklichkeit von außen infrage gestellt wird: Dann verteidige ich sie gegen solche Infragestellung wie mit Zähnen und Klauen; bzw. versuche ich geradezu aggressiv, dem Infragesteller Angst zu machen und ihm damit die Angst weiterzugeben, die sich hinter meiner Schein-Sicherheit verbirgt.

Vielleicht eröffnet sich mir an dieser Stelle die Möglichkeit, die heillose Dynamik der Angst umzukehren: die Aggression, mit der ich die Schein-Wirklichkeit meines "Second Life" verteidige, kann mir die Augen dafür öffnen, wie unsicher, wie unwirklich, wie unwahr die Sicherheit ist, die ich in dieser Scheinwelt zu finden suche. Ich erhalte ein erstes Gespür dafür, dass nicht das von mir Erzeugte meinem Leben Halt und Sicherheit zu verleihen vermag, so imponierend es sich auch darstellt, sondern allein die Wahrheit, und sei es die demütigende Wahrheit meiner Unsicherheit, Haltlosigkeit und Angst.

Ich kann mich nun entscheiden, nicht mehr vor meiner Angst zu fliehen, sie nicht auszuagieren, sondern sie zu fühlen und auszuhalten, sie zu benennen und sie so als meine seelische Wirklichkeit anzuerkennen. Ich kann sagen, dass ich Angst habe und warum. So komme ich wieder in Kontakt mit der Wirklichkeit: mit der seelischen Wirklichkeit meiner Angst und mit der äusseren Wirklichkeit, auf die sie reagiert.

In der Angst fliehe ich das, wovor ich Angst habe, und bleibe doch davon gebannt. Mein Blick wendet sich davon ab und wird doch zugleich darauf fixiert und eingeengt. Solange ich in der Angst bleibe, nehme ich das, wovor ich Angst habe, für die Wirklichkeit schlechthin. Indem ich nun aber die Angst aushalte und fühle, sie ausspreche und benenne, indem ich so anerkenne, dass sie WIRKLICH ist und mich weigere, eine Schein-Wirklichkeit an ihre Stelle zu setzen, weitet sich mein Blick: Ich erkenne, dass meine Angst - wie auch die äussere Wirklichkeit, auf die sie reagiert - zwar wirklich, aber nur ein Teil der Wirklichkeit ist, nicht DIE WIRKLICHKEIT schlechthin. Ich öffne mich nun dafür, dass es jenseits der Angst und dessen, was mir Angst macht, auch noch anderes gibt, was mir keine Angst macht, sondern mich stärkt und aus der Angst herausführt.

Wenn ich auf diesem Weg der Blickerweiterung bleibe, kann ich schliesslich in Kontakt kommen mit dem Ganzen oder dem Grund der Wirklichkeit. Ich kann daraus ein Grundvertrauen schöpfen, das alle Angst umgreift und relativiert. Das wird mich nicht zu einem Leben gänzlich ohne Angst befreien, wird mich aber zunehmend befähigen, sie auszuhalten und nicht mehr in die Angst vor der Angst zu fliehen; so werde ich mit der primären Angst und durch sie mit meiner seelischen Wirklichkeit und mit der Wirklichkeit überhaupt in Kontakt bleiben, anstatt alle Energie darauf zu verwenden, mir eine imponierende Pseudo-Wirklichkeit zu schaffen und aggressiv gegen alle Infragestellung zu verteidigen.

Aus der Angst zurück zur Liebe

Die schlimmste Folge der Angst ist, dass sie mich von der Liebe abschneidet - und von der Verbundenheit mit denen, die mir nahestehn und die ich liebe. Anstelle der Liebe biete ich ihnen nur die Pseudo-Wirklichkeit als Kontaktebene an, die ich in meiner Angst vor der Angst erzeuge. Ich nötige sie entweder, sich als Co-abhängige in die gleiche Pseudo-Wirklichkeit und Pseudo-Harmonie zu begeben oder nehme die Isolierung von ihnen in Kauf.

Doch haben die Angst und meine Angst vor der Angst nicht die Macht, die Liebe, die in mir ist, zu tilgen. Sie verdecken sie und unterbrechen den Fluss der Liebe im Kontakt mit denen, die ich liebe. Durch die Angst vor der Angst kann ich nicht nur meine Angst, sondern auch meine Liebe nicht fühlen und nicht äußern. So kommt es stattdessen zu einem tiefen Gefühl der Trauer und Vereinsamung. Die eigentliche Chance, die sich mir eröffnet, wenn ich vor der Angst nicht mehr fliehe, liegt darin, dass ich in Fühlung komme mit meiner Liebe und in Kontakt mit den anderen.

In dieser Welt habt ihr Angst. Doch seid getrost: Ich habe die Welt besiegt. - Jesus

Er hat die Welt besiegt, indem er die Angst besiegt hat: er vergoss den Blutschweiss der Angst im Wissen um das, was ihm bevorstand; er hat sie besiegt, indem er dieser Angst standgehalten hat und nicht aus ihr in die Angst vor der Angst geflohen ist. So ist er mitten in der Angst in der Liebe zu uns geblieben. Und öffnet uns den Zugang zu der Erkenntnis, dass wir - wie er - in all unserer Angst und jenseits all dessen, was wir aus Angst fühlen, denken und tun, in unserem Verhältnis zueinander ursprünglich und unaustilgbar LIEBENDE SIND.

Die Liebe aber vertreibt die Furcht.

Wir sind Schwingungen in einem größeren Konzert
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